Schwerpunkte der Amnesty-LGBTI-Menschenrechtsarbeit in Deutschland 1990–2017

Queeramnesty Deutschland entsteht

Bei Amnesty International Deutschland gründet sich 1995 die „Aktionsgruppe Homosexualität“. Im Jahr 2000 wurde der Name in MERSI (Menschenrechte und sexuelle Identität) geändert und 2012 in Queeramnesty.
Aktuell gibt es aktive Queeramnesty-Gruppen in Berlin, Freiburg, Frankfurt am Main, Hamburg, Hannover, Karlsruhe, Köln und München.
Queeramnesty-Gruppen beteiligen sich bundesweit zusammen mit anderen Amnesty-Gruppen jährlich z. B. an Christopher-Street-Day-Paraden, dem Internationale Tag gegen Homo- und Transphobie (IDAHOT), schwul-lesbischen Straßenfesten, Filmfesten. Jährlich sammeln sie tausende Unterschriften für die Menschenrechte. Queeramnesty organisiert Veranstaltungen zusammen mit lokalen LGBTI- und Menschenrechtsorganisationen, auf denen LGBTI-Aktivist*innen aus der ganzen Welt eine Stimme erhalten.

Schwerpunkte der Amnesty-LGBTI-Menschenrechtsarbeit in Deutschland 1990–2017

Rumänien – Verhaftung aufgrund homosexueller Handlungen

Anfang der 1990er Jahre protestiert Amnesty International gegen die Inhaftierung von insgesamt 57 Personen, die allein aufgrund ihrer vermuteten Homosexualität festgenommen wurden und setzt sich für die Abschaffung des Strafgesetz-Artikels, der einvernehmliche homosexuelle Handlungen kriminalisiert, ein.
1995 wurde Maria Cetiner zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt, weil sie „versucht hatte, eine andere Frau zu verführen“. Amnesty International setzt sich mit Erfolg durch Eilaktionen, Veranstaltungen und Botschaftsbesuchen für ihre Freilassung ein. 1998 wurde sie begnadigt.
Der Strafgesetz-Artikel wird erst 2002 u.a. durch heftigen Druck der EU außer Kraft gesetzt.

Länder Sub-Sahara Afrikas – Tödliches Erbe der Kolonialzeit

In vielen afrikanischen Ländern haben das Erbe der Kolonialzeit, religiöse Gruppen unterschiedlicher Glaubensrichtung und das Erstarken konservativer und autoritärer Kräfte zu massiver Unterdrückung von LGBT-Rechten geführt. Seit den 90ern kämpft Amnesty International gegen diese Menschenrechtsverletzungen.
Nachdem Mitglieder der Organisation GALZ (Gays and Lesbians of Zimbabwe) 1996 bei der Internationalen Buchmesse in Simbabwe gewalttätig angegriffen wurden, fordert Amnesty International mit vielen Unterstützer*innen die Behörden auf, für die Sicherheit und Meinungsfreiheit der GALZ-Mitglieder zu sorgen. Bis 1999 veranstaltet Queeramnesty u. a. einen Aktionstag vor der Botschaft Simbabwes, als Protest gegen die drohende Verurteilung von GALZ-Mitbegründer Keith Goddard wegen homosexueller Handlungen.
Ab 1996 setzt sich Amnesty International für die Menschenrechtsverteidigerin Pollyanna Mangwiro von GALZ ein, für die Queeramnesty eine Speakers-Tour in Deutschland organisiert.
2011 wird die Ausstellung „Proudly African & Transgender“ der südafrikanischen Künstlerin Gabrielle LeRoux in vielen Orten Deutschlands auf Initiative von Queeramnesty gezeigt, die Trans*Aktivist*innen aus Uganda, Südafrika, Namibia, Burundi, Kenia, Botswana und Simbabwe porträtiert.
Im selben Jahr beginnt der Einsatz für Jean Claude Roger Mbede aus Kamerun. Er wurde aufgrund einer an einen Mann gerichteten SMS mit dem Inhalt „Ich liebe dich“ inhaftiert. Viele Mahnwachen für Roger Mbede und für den 2011 ermordeten ugandischen LGBT-Aktivisten David Kato finden vor Botschaften statt.
Der 7. Amnesty International-Menschenrechtspreis wird 2014 an die kamerunische Rechtsanwältin Alice Nkom verliehen, die sich unermüdlich für die Rechte von homosexuellen Menschen einsetzt. Amnesty-Gruppen organisieren viele Veranstaltungen mit der Menschenrechtsverteidigerin.
Im Jahr 2014 organisiert Queeramnesty eine Ausstellung der südafrikanischen Fotografin und Aktivistin Zanele Muholi mit Veranstaltungen zum Thema sexualisierte Gewalt gegen lesbische Frauen in Südafrika. Ein Fokus sind die aus der Kolonialzeit stammenden Unterdrückungsmechanismen, die weiterhin wirksam sind. Gedenkveranstaltungen erinnern an die 2011 ermordete Aktivistin Noxolo Nogwaza.
Amnesty International beteiligt sich an den weltweiten Protesten gegen die Verschärfung einer Gesetzgebung in Uganda, die Strafen auf homosexuelle Handlungen erhöhen will. Die Appelle tragen im Jahre 2014 dazu bei, dass das neue Gesetz nur einige Monate Bestand hat.

Usbekistan – Folter und Haft

2003 organisiert Queeramnesty eine Demonstration zur usbekischen Botschaft für den usbekischen Menschenrechtsverteidiger Ruslan Sharipov, der in einem unfairen Prozess wegen Homosexualität und angeblichen sexuellen Kontakten zu Minderjährigen schuldig gesprochen wurde. Ruslan Sharipov wurde zu einem Schuldeingeständnis genötigt und in der Haft mehrfach gefoltert. Der internationale Druck hat Erfolg und Ruslan Sharipov wird aus dem Straflager in den offenen Vollzug entlassen.

Ägypten – Verhaftungswelle in den 2000ern

Zwischen 2001 und 2005 protestiert Amnesty International gegen mehrere Verhaftungen und Prozesse gegen schwule Männer. Es finden Eilaktionen, Petitionen und öffentliche Protestaktionen statt.

Türkei – Gewalt gegen Trans* und homosexuelle Menschen

Amnesty-Mitglieder protestierten weltweit, als 1993 eine LGBT-Konferenz in der Türkei verboten und drei Aktivist*innen inhaftiert werden. Seit 2010 steht die Verhinderung der Arbeit von LGBT-Vereinen im Fokus der Menschenrechtsarbeit. Dazu kommen ab 2013 Appelle gegen die Untätigkeit der Polizei, die LGBT-Menschen wie den wegen seiner sexuellen Orientierung ermordeten Ahmed Yıldız nicht schützt. Im gleichen Jahr findet die Kampagne zur Türkei „Weder Krankheit noch Verbrechen“ große Resonanz. Die Queeramnesty-Gruppen arbeiten immer wieder mit der Filmemacherin Maria Binder und der Trans*Aktivistin Ebru Kırancı zusammen und organisieren u. a. 2015 die deutsche Uraufführung des Films „TransXIstanbul“.

Für eine Welt frei von Folter

In den Jahren 2001/2002 engagiert sich Queeramnesty bei der dritten Amnesty-Kampagne “Für eine Welt frei von Folter” zusammen mit Amnesty-Gruppen in über 24 Ländern. Die Kampagne basiert auf dem bis dahin umfassendsten Bericht über Folter und Misshandlung an LGBT “Crimes of Hate, Conspiracy of Silence”, der 2001 erscheint.

Stonewalled – polizeiliche Misshandlung an LGBT in den USA

2006 setzt sich Queeramnesty auf der Grundlage des Amnesty-Berichts “Stonewalled” für LGBT in den USA ein, die durch polizeiliche Übergriffe bedroht und wegen Rassismus, Homo- und Transphobie der Polizist*innen Gewalt ausgesetzt sind. Amnesty beklagt, dass selbst bei schwerwiegenden Vorwürfen Polizeibeamt*innen nur selten zur Verantwortung gezogen werden.

Europa – Einsatz für Trans*Rechte: „Ich entscheide, wer ich bin!“

Bereits seit Mitte der 90er setzt sich Amnesty International mit Eilaktionen für Trans*Menschen ein, die von Haft, Gewalt und Mord bedroht sind. Mit der Kampagne “The State Decides Who I Am. Lack of Legal Gender Recognition for Transgender People in Europe” kämpft Amnesty seit 2014 dafür, dass Trans*Identitäten von Staaten und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht mehr als Krankheiten deklariert und die Rechte von Trans* anerkannt werden.
Amnesty-Mitglieder weltweit setzen sich erfolgreich für Jeanette Solstad Remø aus Norwegen sowie Emilie Dumont aus Frankreich und ihre Rechte auf offizielle Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität ein. 2016 ändert Norwegen das Gesetz und Emilie Dumont gewinnt den Prozess für die gesetzliche Angleichung ihres Geschlechtseintrages. Seit 2017 unterstützt Amnesty Sakris, eine junge Trans*Person aus Finnland, bei der Anerkennung seiner Geschlechtsidentität.

Gewalt und Diskriminierung in Europa – Pride-Paraden in Gefahr

In vielen europäischen Staaten kommt es trotz der Entkriminalisierung von homosexuellen Handlungen zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen an LGBTI.
1999 unterstützen Amnesty-Mitglieder die ukrainische LGBTI-Organisation Nash Mir bei ihrer Registrierung, die legales Arbeiten ermöglicht.
Nach gewalttätigen Übergriffen auf Teilnehmer*innen der ersten Pride-Parade in der serbischen Hauptstadt Belgrad 2001, beginnt Amnesty mit der Unterstützung für die osteuropäischen und baltischen Pride-Paraden. Seitdem gibt es regelmäßig Solidaritätsaktionen für Pride-Veranstaltungen, die davon bedroht sind, verboten oder nicht ausreichend durch die Polizei geschützt zu werden, z.B. im Zeitraum 2004–2006 für Pride-Paraden in Polen. Queeramnesty protestiert 2006 mit der Sammlung von 1.500 Unterschriften gegen staatliche Diskriminierung und homophobe Äußerungen von Regierungsmitgliedern in Polen.
Amnesty-Mitglieder nehmen an Paraden teil z. B. Baltic Pride, Belgrade Pride, Slavic Pride, Bratislava und Budapest Prides.
2009 leitet Amnesty mit der Kampagne „Fight Discrimination in Europe“ einen umfassenden Kampf gegen Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, Geschlechtsidentität und Zugehörigkeit zu verfolgten Gruppen (z. B. Roma) ein.
Mit Protest- und Appell-Briefen wirken die Amnesty-Mitglieder diskriminierender Gesetzgebung in Europa entgegen mit einem Schwerpunkt auf Russland und seiner Nachbarländer.
Seit 2012 gibt es vermehrt Aktionen zu sogenannten Hassverbrechen – Gewalt bis hin zu Tötungen von Menschen aufgrund von Homo- und Transphobie.
Viele Unterstützer*innen setzen sich für den von der Polizei misshandelten LGBT-Aktivisten Ihar Tsikhanyuk (Belarus), ein misshandeltes Paar aus Griechenland und die Aufklärung der Morde an Mihail Stoyanov (Bulgarien) sowie Ahmet Yıldız (Türkei) ein.

Es gibt mehr als nur männlich und weiblich – Intersexualität und Menschenrechte in Deutschland und Dänemark

Seit 2010 wird intern an einer Position und an Aktionen zum Thema Intersexualität und Menschenrechte, maßgeblich durch Queeramnesty Hamburg initiiert, gearbeitet. 2013 entsteht eine Amnesty-Position, die medizinisch unnötige Eingriffe an Kindern mit Variationen der Geschlechtsmerkmale als Menschenrechtsverletzungen verurteilt.
Der Bericht „Zum Wohle des Kindes? Für die Rechte von Kindern mit Variationen der Geschlechtsmerkmale in Dänemark und Deutschland“ erscheint 2017 und ist der Beginn einer Kampagne mit dem Ziel das Ende von „normalisierenden“ Eingriffen an Kindern zu erreichen.

Liebe jenseits der Geschlechter – Einsatz für gleichgeschlechtliche Ehe und Diskriminierungsschutz in Japan und Taiwan

Seit 2017 unterstützen Amnesty-Mitglieder den Kampf für die Öffnung der Ehe in Taiwan und Japan. Der Einsatz zeigte erste Erfolge am 24.05.2017 als das höchste Gericht in Taiwan die Gleichstellung der Ehe befürwortet.

30. Juli 2017